Lang gereifter Balsamico, wie er in Modena erzeugt wird, zählt zu den edelsten und auch teuersten Delikatessen der Welt.

Lang gereifter Balsamico, wie er in Modena erzeugt wird, zählt zu den edelsten und auch teuersten Delikatessen der Welt.
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Aceto balsamico: Der saure Edelsirup

Der »Aceto Balsamico Tradizionale di Modena« ist die Königsklasse unter den Balsamico-Produkten. Er gleicht mehr einer sirupartigen Würze als einem flüssigen Säuerungsmittel und hat mit gewöhnlichem Essig so viel gemein wie ein Ferrari mit einem Traktor.

Ein Kammersänger der Wiener Staatsoper, der zuvor Gendarm in Vorarlberg war, erzeugt in der Nähe von Wien einen Aceto balsamico, wie er für die norditalienische Provinz Modena typisch ist: Wäre die Geschichte nicht wahr, müsste man sie erst erfinden.

Herwig Pecoraro, ein hoch angesehenes Mitglied der Wiener Staatsoper, betreibt bei sich zu Hause in Klosterneuburg ­tatsächlich seit vielen Jahren eine selbst konstruierte »Acetaia«, so nennt man im ­norditalienischen Modena die Produktionsstätten, in denen »Aceto Balsamico ­Tradizionale« hergestellt wird. 

Pecoraro und sein Sohn Mario machen allerdings keine billigen Nachahmungen, ihr Aceto balsamico steht dem weltweit geschätzten »Aceto Balsamico ­Tradizionale di Modena«, wie es im Original heißt, in qualitativer Hinsicht um nichts nach, auch wenn sie nicht »Tradizionale« auf die Flasche schreiben dürfen, weil der ­Begriff Teil einer geschützten Ursprungsbezeichnung ist. 

»Aceto Balsamico Tradizionale di Modena« ist die Königsklasse unter den Balsamicoessigen. Schon wenige Tropfen eines alten, mitunter sogar uralten Balsamico dieser ­Kategorie lösen auf der Zunge ein wahres Feuerwerk süßsaurer Aromen aus. Das hat auch seinen Preis. Echter ­»Balsamico Tradizionale« ist ein Luxus­artikel wie Kaviar, Trüffel und Cognac.

Historische Vorgehensweise: Jedes Jahr verdunsten auf natürliche Weise zehn Prozent. Dann wird der Essig in kleinere Fässer umgefüllt, bis der »Tradizionale« nach zwölf oder 25 Jahren als Edelessig in kleine Flaschen gefüllt wird.
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Historische Vorgehensweise: Jedes Jahr verdunsten auf natürliche Weise zehn Prozent. Dann wird der Essig in kleinere Fässer umgefüllt, bis der »Tradizionale« nach zwölf oder 25 Jahren als Edelessig in kleine Flaschen gefüllt wird.

Die Heimatregionen des Aceto ­balsamico sind die norditalienischen Provinzen Modena und Reggio Emilia westlich von ­Bologna. Aceto balsamico ist grundsätzlich ein dunkler Essig, der in Holzfässern reift und in zwei Klassen – nämlich »Aceto ­Balsamico Tradizionale« und »Aceto ­Balsamico di Modena« – unterschieden wird. Doch was macht den Unterschied aus? »Aceto Balsamico ­Tradizionale« darf nur aus 100 Prozent Traubenmost bestehen (meist aus der Rebsorte ­Trebbiano), während bei »Aceto Balsamico di Modena« auch Weinessig und andere Zutaten wie etwa karamellisierter Zucker oder Geschmacks-, Aroma- und Konservierungsstoffe verwendet werden dürfen.

Der mitunter extrem teure »­Tradizionale« wird in zwei Qualitäten angeboten: zwölf Jahre und 25 Jahre gereift. ­Dieser Balsamico verbringt seine lange Reifezeit in unterschiedlichen Holzfässern. Er ist dunkelbraun und sirupartig und wird in speziell für ihn gefertigte Fläschchen abgefüllt. Eine Altersangabe ist auf dem Etikett nicht zu finden – dies ist gesetzlich verboten. Sie sind nur an der Kapsel zu unterscheiden: der über zwölf Jahre alte an einer roten oder cremefarbenen Kapsel und der über 25 Jahre alte an einer goldenen Kapsel mit der Bezeichnung »extravecchio« auf dem offiziellen Etikett.

Balsamico der Topklasse ist dunkelbraun und dickflüssig wie ein Sirup und wird in spezielle Fläschchen abgefüllt.
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Balsamico der Topklasse ist dunkelbraun und dickflüssig wie ein Sirup und wird in spezielle Fläschchen abgefüllt.

Im Laufe der ersten zwölf Jahre der Fasslagerung wird das Essigvolumen in den Fässern aufrechterhalten, indem man die zehn Prozent Flüssigkeit, die pro Jahr verdunsten, durch Umfüllen aus dem nächstgrößeren Fass ersetzt. Bevor der ­abgekochte Most des jüngsten Jahrgangs in das größte Fass gefüllt werden kann, muss dem kleinsten Fass eine bestimmte Menge fertigen Balsamessigs entnommen werden. Die entsprechende Menge wird aus dem nächstgrößeren Fass wieder aufgefüllt. Dieses Umfüllen ähnelt dem beim Sherry praktizierten »Solera«-Verfahren und ist ein Ritual, das größte Sorgfalt und Fingerspitzengefühl erfordert.

Die besten italienischen Produzenten, die dem Consorzio Produttori di Aceto Balsamico Tradizionale di Modena angehören, müssen sich strengen Regeln unterwerfen, die die Qualität und Echtheit ihres begehrten Elixiers garantieren und die Kunden vor Fälschungen schützen sollen. Ein viel strengeres Auswahlverfahren gibt es bei Lebensmittel nur selten.

Längst wird aber auch außerhalb ­Italiens hervorragender Aceto balsamico erzeugt, der den besten Produkten aus ­Modena um nichts nachsteht. Er stammt von innovativen Produzenten, wie etwa der Brand- und Essigmanufaktur Gölles in der Steiermark oder dem bereits erwähnten Balsamicospezialisten Herwig ­Pecoraro. Er verwendet für seine edlen Würzflüssigkeiten Veltliner-Most aus Niederösterreich. Der Traubenmost wird dabei 36 Stunden über offenem Feuer eingekocht, mit altem Balsamico infiziert und neun bis 15 Jahre in Fässern aus ­verschiedenen Hölzern gelagert. 

Die Familie Gölles, bekannt für herausragende Schnäpse, erzeugt in der Steiermark einen ganz hervorragenden Balsamico in Spitzenqualität.
© Manufaktur Gölles
Die Familie Gölles, bekannt für herausragende Schnäpse, erzeugt in der Steiermark einen ganz hervorragenden Balsamico in Spitzenqualität.

»Mit ähnlich klingenden Produkten aus dem Supermarkt hat das alles nichts zu tun«, meint der sympathische Balsamico-­Tenor und wird ziemlich sauer, wenn jemand dabei von Essig spricht. »Das ist kein Essig, das ist Balsamico, da ­schmecke ich Dörrpflaume, Bitterschokolade, ­Espresso und ein bisschen Liebstöckel.«


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Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2023

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Herbert Hacker
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